Verkehrsunfall

Dem Szenario geht ein Verkehrsunfall voraus…

Allein. Mir ist kalt. Gänsehaut breitet sich aus. Ich liege höchst unbequem an Kopf und Nacken. Der rechte Oberschenkel ist zwischen meinem Sitz und dem Lenkrad eingeklemmt. Es ist eng, nass und der Regen prasselt neben meinem Gesicht auf die Straße. Der Wind raschelt irgendwo in der Finsternis im Laub von Bäumen und treibt den Geruch von heißem Kühlerwasser und verbranntem Gummi vor sich her. Der rechte Fuß schmerzt auch immer mehr, ich fühle ihn unter dem Bremspedal festgekeilt. Jeder Versuch, ihn in eine andere Lage zu bringen, endet mit einem hässlichen Schmerz.

Allein – Gerade noch spielte das Autoradio angenehme Musik, der Motor brummte zufrieden vor sich hin und die Heizung sorgte für ein wohlig warmes Klima. Jetzt ist es stockfinster, eiskalt und alles vom Regen durchnässt. Von weit her nähert sich endlich ein Lichtbündel durch den Regen. Hoffentlich biegt er nicht vorher ab, hoffentlich knallt er nicht noch gegen mein Wrack. Er blendet ab und wieder auf. Das Licht bricht sich in Tausenden von Glassplittern. Er fährt dicht heran. Geblendet schließe ich die Augen, versuche irgendetwas zu rufen. Doch mehr als ein lautes Zähneklappern bringe ich nicht zustande. „Da bewegt sich noch einer drin! Das ist sicher gerade erst passiert!“. Beratung. „Können Sie beim Fenster rausklettern? Die Tür ist verkeilt“. „Nein, ich klemme fest!“, kommt es aus mir. Beratung. „Wir holen die Polizei – das ist das Beste!“. Autotüren schlagen zu und rasend schnell entfernt sich der Wagen wieder.

Allein – Im Motorraum knistert es leise. Irgendeine Flüssigkeit tropft auf etwas Heißes und verdampft. Hoffentlich brennt nichts. In panischer Angst blicke ich um mich, aber ich kann keinen Feuerschein ausmachen.

Immer noch ist es eiskalt. Ab und zu schüttelt es mich kräftig durch und dann spüre ich wieder schmerzhaft meine steifen Glieder. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich mich in dicken Wolldecken vor einem großen, offenen Kamin sitzen und vergesse dann für Momente diese beißende Kälte. War hier geradejemand gewesen, oder habe ich geträumt? Jedenfalls habe ich das Gefühl, schon seit Wochen hier zu liegen. Wieder kommt ein Auto. Nein, keine Gendarmerie. Warnblinker, Licht. Das Licht fühlt sich im Gesicht warm an. Die Haare richten sich zur Gänsehaut auf. „Hallo?“ „Ja, mir ist kalt“, kommt es matt über meine Lippen. „Ich schau mal.“ Schritte entfernen sich. Ich kann nur die Beine sehen. Räder, Warnblinker und das Licht. Es kommt wieder, schiebt mir ein Kissen unter den Kopf. „Eine Decke oder so etwas habe ich leider nicht dabei!“ Ich bedanke mich und er geht wieder weg. Leute steigen aus einem Wagen und betrachten mein Autowrack aus respektvoller Entfernung. Stimmengemurmel. Dann wandert ein Warndreieck durch mein Gesichtsfeld. Ganz leise höre ich Folgetonhörner. Motorengeräusche nähern sich. Blaulicht. Herzklopfen.

Licht kommt auf mich zu.

Ein grelles Folgetonhorn peitscht meine Nerven auf. Ich drehe den Kopf und versuche vergeblich, den scharfen Tönen auszuweichen. Endlich erlischt der Ton. Ich entspanne mich wieder. Motoren laufen, Türen schlagen. Blaues Licht zuckt umher und die tausend Glassplitter tanzen im Takt mit.

Ein Gesicht taucht auf: „Wie ist das passiert? Sind Sie alleine?“

Jetzt nicht mehr, möchte ich antworten. „Sind Sie eingeklemmt?“ Ein anderes Gesicht kommt nahe zu mir: „Können Sie Ihre Beine fühlen?“ „Ja, aber es tut schrecklich weh!“ Er fasst nach meinem Puls, streicht mir dann den Dreck aus meinem Gesicht. „Wie heißen Sie?“ Mir fällt mein eigener Name nicht ein! „Na, das ist nicht das Wichtigste – erst holen wir Sie da mal raus und bringen Sie ins Warme. Sie müssen aber noch einmal tapfer sein!“

Er macht mir Mut. Ich spüre seine warme Hand und weiß nun, dass dies alles ein Ende finden wird. Noch mehr Licht kommt hinzu. Ich höre Kommandostimmen. Motoren werden angelassen. Mein Herz klopft bis zum Halse. Die Hand bleibt bei mir. Mal ist sie an meinem Handgelenk, mal wischt sie über mein Gesicht. Ich schließe die Augen und im Traum wird die Hand riesengroß. Gerade so wie ein Kamin…

Blech knirscht. Schmerz. Entspannung. Ich werde getragen, dann gefahren. Ich kann die Augen nicht mehr öffnen, sehe nicht, wo ich bin. Aber sicher ist alles o.k., denn die warme Hand ist dabei. Wohin die Fahrt geht, weiß ich nicht. Jedenfalls immer der Hand nach…

Wer nie selbst in einer ähnlichen Lage war, kann sich nur schwer in die Lage eines Unfallopfers versetzen. Können Sie es? Und können Sie es sich vorstellen, wie Sie sich fühlen würden? Sind wir uns doch ehrlich: Sind wir nicht schon danebengestanden und während der Rettungsaktion kein Wort mit dem Unfallopfer geredet? Haben wir beim Herausschneiden eines Eingeklemmten vielleicht auch lieber gleich an den Aggregaten gearbeitet und haben Spreitzer und Schere lieber den Kameraden überlassen?

Sollte Ihnen die Kurzgeschichte etwas gesagt haben, so darf ich Sie in der Runde derer begrüßen, die sich Gedanken um ihre Opfer machen und nicht nur der Held in Uniform sein wollen.

Wir sind sicher, dass diese Worte hart sind und sich der eine oder andere getroffen sieht. Wenn das erreicht worden sein sollte, sind wir schon zufrieden. Ich selbst war auch einmal einer, dem beim Ausfahren der Puls durchging und dann dem Unfallopfer gegenüber mit einem dicken Frosch im Hals kämpfte. Und irgendwann, als dann der Reiz des Neuen langsam der Routine wich, habe ich spüren können, wie dankbar die Unfallopfer über jedes Wort sind, dass man mit ihnen wechselt. Hie und da ein steuerndes Wörtchen eingestreut, eine Berührung oder auch nur ein gezielter Blickkontakt und er wird über Sie Wunderdinge erzählen und wie gut Sie ihm die Angst genommen haben.

Tipp: Als kleine Hilfe möchten wir Ihnen einen Tipp mit auf den nächsten Einsatz geben: Fällt es Ihnen schwer, ein Unfallopfer anzusprechen, so stellen Sie sich vor, es wäre jemand, den Sie sehr gut und lange kennen. Als wäre das Opfer ihr Freund…

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